Steuern sind keine Erfindung unserer modernen Zeit, sie sind unerlĂ€ssliche Begleiter unserer Zivilisation. 1916 wurde im Deutschen Reich zur Finanzierung der MilitĂ€rausgaben zunĂ€chst eine Warenumsatzstempelsteuer eingefuÌhrt, die schon 1918 zu einer Umsatzsteuer ausgebaut wurde. Der Vorsteuerabzug fuÌr entsprechende Vorbelastungen war noch nicht erfunden, bis 1967 nahm man eine Steuerkumulation in der Unternehmerkette in Kauf, was aufgrund der niedrigen SteuersĂ€tze (zunĂ€chst 1 %, ab 1918 dann 0,5 %, ab 1920 dann 1,5 %) zu verkraften war.
Zum 01.01.1968 wurde die All-Phasen-Netto-Steuer mit Vorsteuerabzug, wie wir sie heute kennen, auch in Deutschland eingefuÌhrt. Egal, wie viele Produktions- und Handelsstufen ein Handelsgegenstand von der Produktion bis zum Endverbrauch durchlĂ€uft, durch diese
Konstruktion wurde die Entlastung in der Unternehmerkette gewÀhrleistet.
Das einfache Prinzip fuÌhrte dazu, dass die Umsatzsteuer seinerzeit als âBuchhaltersteuerâ diffamiert wurde, dafuÌr war es aber auch ohne Hochschulstudium fuÌr einen Praktiker zu handhaben. Diese EinschĂ€tzung gehört mittlerweile der Vergangenheit an, denn kaum ein Rechtsgebiet hat in den letzten Jahren derart an KomplexitĂ€t und Bedeutung gewonnen. Die Umsatzsteuer hat sich zu einem komplizierten Gebilde aus nationalem Umsatzsteuerrecht und EU-Recht entwickelt, uÌberwuchert mit Ausnahmeregelungen und unsystematischen Bestimmungen, flankiert durch eine sehr stark profiskalische Sichtweise der Verwaltung und schwer nachzuvollziehende Entscheidungen des EuGHs, eingebettet in eine befremdliche Begriffswelt von Anwendungsvorrang und richtlinienkonformer
Auslegung.
BuÌrokratiemonster
Selbst die EU-Kommission merkte an, dass âdas System der Mehrwertsteuer insbesondere kleinen und mittleren Unternehmern zu schaffen machtâ, weil es âzu fragmentiert und zu kompliziert ist.â Nicht selten sind heute die Kosten zur Befolgung der ausgefeilten Mehrwertsteuer-Vorschriften höher als die damit verbundene Abgabe. Ein Umstand, der zwar allenthalben KopfschuÌtteln nach sich zieht, nur eben keine Anpassung der Vorschriften. Die Abschaffung der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette und eine Umwandlung in eine Einzelhandelssteuer wuÌrde viele aktuelle Probleme lösen â aber natuÌrlich auch unzĂ€hlige Mitarbeiter der MinisterialbuÌrokratie und der steuerberatenden Berufe ungluÌcklich machen. Bei Schaffung der Umsatzsteuer war ein einmaliger Zugriff, wie wir es von Verbrauchsteuern kennen, aus politischen GruÌnden nicht gewuÌnscht. In der heutigen digitalen Welt erzeugen sich BetruÌger aber ihre fiktiven Eingangsrechnungen selbst und melden nicht existente Guthaben bei den FinanzĂ€mtern an. Der Gesetzgeber muss stĂ€ndig nachbessern. Wir gruÌnden Task-Forces zur BekĂ€mpfung des Umsatzsteuerbetrugs und fordern allen Ernstes die EinfuÌhrung eines elektronischen Meldesystems, das fuÌr die Erstellung, PruÌfung und Weiterleitung fuÌr sĂ€mtlicher Rechnungen in ganz Europa verwendet werden soll. So beruft sich der Koalitionsvertrag der Ampel auf die guten Erfahrungen in Italien mit einer solchen staatlichen Schnittstelle, ohne uÌberhaupt in ErwĂ€gung zu ziehen, dass es immer noch Menschen gibt, die gar keine Rechnungen schreiben und so den Staat schĂ€digen.
Vorsteuerabzug abschaffen
Ein solches BuÌrokratiemonster wuÌrde erhebliche Investitionen erfordern â Geld, das zur ErfuÌllung wichtigerer Ziele benötigt wird. Da sich der Vorsteuerabzug lĂ€ngst zur Achillesferse des Umsatzsteuerrechts entwickelt hat, wĂ€re es naheliegend, diesen abzuschaffen. Die Entlastungswirkung fuÌr Unternehmer könnte erreichen, wenn es die Umsatzsteuer in der Unternehmerkette gar nicht mehr gĂ€be, sondern diese nur noch von Unternehmern erhoben wird, die an Endverbraucher leisten. Es gĂ€be keinen Vorsteuerabzug mehr und folglich wĂ€re keine BetrugsbekĂ€mpfung mehr erforderlich.
âVielleicht ist die Zeit fuÌr radikale DenkansĂ€tze gekommen.â
Und in einer digitalen Welt sollte es uns wohl auch gelingen, Unternehmer, die nur teilweise steuerpflichtige UmsĂ€tze erzielen, durch entsprechende Kennungen zutreffend zu behandeln. SchlieĂlich kennt das Umsatzsteuerrecht schon heute fuÌr diese atypischen Unternehmer unzĂ€hlige Sonderregelungen.
Ein zwingendes Reverse-Charge-Verfahren fuÌr RechnungsbetrĂ€ge uÌber 5.000 âŹ, wie politisch gefordert, wuÌrde ein umsatzsteuerliches Parallelsystem mit sich bringen und keine wirkliche Lösung. Die Kommission hĂ€lt einen Neustart fuÌr dringend erforderlich, was aber erhebliche VerĂ€nderungen des jeweils nationalen Steuerrechts mit sich bringen wuÌrde. So geht die Kommission auch davon aus, dass es âpolitischer FuÌhrungskraft bedarf, um die tief verwurzelten Hindernisse zu uÌberwinden, um endlich die notwendigen Reformen zu verabschiedenâ. Es bleibt zu wuÌnschen, dass die EuropĂ€er dieses Konzept sorgfĂ€ltig pruÌfen, einschlieĂlich des Vorschlags der Kommission, endlich das Einstimmigkeitsprinzip im Steuerrecht aufzugeben. Dies war bislang das gröĂte Hindernis zur Durchsetzung ernsthafter Reformen. Vielleicht ist die Zeit fuÌr radikale DenkansĂ€tze gekommen.
Mehr ĂŒber den Autor:
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski ist nach langjĂ€hriger DozententĂ€tigkeit an der Fachhochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen heute Sachgebietsleiter in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nimmt er daneben immer noch bei zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen wahr. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor diverser steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen âMeine Frau ist eine auĂergewöhnliche Belastungâ, âWo bitte kann ich meinen Mann absetzenâ und âIch war Hals ĂŒber Kopf erleichtertâ sowie das MĂ€rchenbuch âVon Steuereyntreibern und anderen Blutsaugernâ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab. Sein aktuelles satirische Werk âIm Namens des Volkesâ erhĂ€ltlich im Erich-Schmidt-Verlag finden Sie hier.
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