Sachverhalt: Die Beteiligten streiten u.a. darüber, ob Aufwendungen für die mit einer künstlichen Befruchtung zusammenhängenden medizinischen Behandlungen sowie hierdurch veranlasste Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastung der Klägerin im Sinne von § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Der Partner der Klägerin konnte vorliegend aufgrund einer chromosomalen Translokation auf natürlichem Weg mit hoher Wahrscheinlichkeit kein gesundes Kind zeugen. Das FA lehnte die mit einer künstlichen Befruchtung zusammenhängenden geltend gemachten Kosten u.a. mit der Begründung ab, dass sich vorliegend die Zwangslage wegen des Bestehens der Partnerschaft mit dem erkrankten Partner und nicht wegen einer Erkrankung der Klägerin selbst ergebe. Der Leidensdruck des unerfüllten Kinderwunsches aufgrund des erkrankten Partners sei nicht ausreichend, um eine Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 EStG der Aufwendungen der künstlichen Befruchtung der gesunden Frau, hier der Klägerin, zu begründen.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg:
- Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung können als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen sein. Dafür ist es erforderlich, dass die künstliche Befruchtung mit dem Ziel erfolgt, die auf einer "Krankheit" der Frau oder des Mannes beruhende Kinderlosigkeit zu beheben. Eine chromosomale Translokation mit erheblichen hieraus resultierenden Risiken und möglichen Folgen für ein auf natürlichem Weg gezeugtes Kind ist als Krankheit einzuordnen.
- Die bei Vorliegen einer Krankheit bei dem bzw. der einen Partner(in) unwiderleglich vermuteten Merkmale der Außergewöhnlichkeit und der tatsächlichen Zwangsläufigkeit im Sinne von § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind aufgrund der infolge des gemeinsamen Kinderwunsches gebotenen Gesamtbetrachtung auf die bzw. den sich gleichermaßen in einer Zwangslage befindende(n) gesunde(n) Partner(in) zu übertragen. Dies gilt ungeachtet des Bestehens einer Ehe.
- Die Berücksichtigung von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung kommt bei einer Einzelveranlagung gemäß § 25 EStG angesichts der für beide Partner bestehenden Zwangslage bei dem Partner bzw. der Partnerin in Betracht, dem bzw. der die Aufwendungen im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG „erwachsen" sind, weil er bzw. sie die Aufwendungen tatsächlich und aufgrund der gleichgerichteten Interessenlage zumindest auch aus eigenem Interesse getragen hat.
- Eine Berücksichtigung bei dem anderen Partner bzw. der anderen Partnerin nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungswegs kann nicht erfolgen; ein Wahlrecht besteht nicht.
Hinweis:
Die Revision gegen die Entscheidung ist beim BFH unter dem Az. VI R 2/22 anhängig.
Quelle: Niedersächsisches FG online (il)
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