Hintergrund: Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel können gem. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. Ob Taxis „öffentliche Verkehrsmittel” i. S. von § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG sind, ist in der Literatur umstritten.
Sachverhalt: Der Kläger arbeitet als Geschäftsleiter in einer führenden Position. Die berufliche Betätigung erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, sodass er keine festen Arbeitszeiten mit einem regulären „Acht-Stunden-Arbeitstag” hat. Der Kläger kann krankheitsbedingt nicht mehr selbst Auto fahren. Er hat einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 60 % ohne besondere Merkmale.
Da die öffentliche Verkehrsanbindung zeitlich nicht hinreichend flexibel und zu langwierig war, nahm der Kläger in der Regel ein Taxi. Hierzu vereinbarte er Sonderkonditionen mit dem Taxiunternehmer. Es fielen Taxikosten i. H. von 6.402 € an, die er als Werbungskosten gem. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG geltend machte. Zudem könne er als behinderter Mensch gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 EStG die Kosten geltend machen. Das FA versagte den Werbungskostenabzug und setzte die Entfernungspauschale von 0,30 € je Kilometer an. Das FA verweist auf das FG Niedersachsen, Urteil v. 5.12.2018 - 3 K 15/18; die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG wolle lediglich öffentliche, regelmäßig verkehrende Verkehrsmittel, nicht dagegen die Benutzung von Taxis privilegieren. Ein Abzug der tatsächlichen Taxikosten sei auch nach § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht möglich, da der Kläger nur zu 60 % behindert sei und über kein Merkzeichen „G” (für „Gehbehindert”) verfüge.
Das FG entschied zugunsten des Klägers:
- Taxis sind öffentliche Verkehrsmittel i. S. von § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG . Das FG kann letztlich dahingestellt sein lassen, ob das FA den Abzug der durch den Kläger geltend gemachten Taxikosten nach § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 EStG im Hinblick auf dessen nur 60 % betragenden Grad der Erwerbsminderung bei fehlendem Merkzeichen „G” zu Recht versagt hat oder ob – wie der Kläger meint – die gesetzliche Beschränkung auf erheblich gehbehinderte Personen entgegen der Wertung des FG Rheinland-Pfalz, Urteils v. 12.4.2005 - 2 K 2028/03 eine gleichheitswidrige Schlechterstellung des Klägers darstellt.
- Da im Kurzstreckenbereich die Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr höher sein können als der gesetzliche Pauschbetrag, soll es möglich bleiben, die tatsächlichen Kosten abzuziehen. Letztere Privilegierung öffentlicher Verkehrsmittel in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG ist verfassungsrechtlich unbedenklich, denn diese Regelung ist erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen.
- Taxifahrten minimieren zwar nicht stets im gleichen Ausmaß wie regelmäßiger Linienverkehr die Straßenauslastung (im Hinblick auf Leerfahrten), dennoch sprechen auch umwelt- und verkehrspolitische Gründe für eine Benutzung von Taxis gegenüber der Nutzung des eigenen Kfz. Für eine steuerrechtliche Privilegierung spricht, dass Taxis die Städte immerhin vom ruhenden Verkehr entlasten.
- Die Benutzung von Taxis ist weitaus umweltfreundlicher als z. B. die Benutzung von Linienschiffen bzw. Linienflugzeugen, die unstreitig als öffentliche Verkehrsmittel i. S. von § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG angesehen werden.
- Soweit man die Privilegierung des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG daran knüpft, dass es sich um regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel handeln muss, ergeben sich zudem Wertungswidersprüche in der Praxis. Soweit sich öffentliche Verkehrsbetriebe z. B. der Nahverkehr insbesondere in späten Abendstunden auf Anruf/Abrufsammeltaxis bedient, die erst nach Anruf/auf Abruf zu einer Haltestelle fahren, handelt es sich unstreitig um ein öffentliches Verkehrsmittel, obwohl diese nicht wiederkehrend im Linienverkehr eingesetzt werden.
Hinweis: Die Revision ist unter dem Az. VI R 26/20 seit dem 20.4.2020 anhängig.
Quelle: FG ThĂĽringen Urteil v. 22.10.2019 - 3 K 490/19, NWB Datenbank NWB IAAAH-50235 (JT)
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