Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil v. 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 die Fortgeltung des verfassungswidrigen Erbschaftsteuergesetzes angeordnet und den Gesetzgeber verpflichtet, bis spätestens zum 30.6.2016 eine Neuregelung zu schaffen. Während des Gesetzgebungsverfahrens kam es zu Verzögerungen. Die Neuregelung wurde erst am 9.11.2016 mit Wirkung zum 1.7.2016 verkündet.
Sachverhalt: Die Klägerin ist Alleinerbin nach ihrer am 28.8.2016 verstorbenen Tante. Der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb bestand aus Privatvermögen. Das Finanzamt setzte Erbschaftsteuer fest.
Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, dass am Stichtag, dem 28.8.2016, kein mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehendes Erbschaftsteuergesetz mehr existiert habe, sodass der Erwerb nicht der Erbschaftsteuer unterliege. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg (FG Köln, Urteil v. 8.11.2018 - 7 K 3022/17). (siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 1.2.2019)
Der BFH hat die Revision als unbegrĂĽndet zurĂĽckgewiesen:
- Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Norm fest, führt dies nicht zwangsläufig zur Nichtanwendbarkeit der Norm. Maßgeblich ist der Tenor der Entscheidung des BVerfG.
- Entscheidet das BVerfG, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar und der Gesetzgeber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Neuregelung verpflichtet ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 7.11.2006 - 1 BvL 10/02), sind die verfassungswidrigen Regelungen entsprechend der Tenorierung unabhängig vom Fristlauf für den Gesetzgeber bis zu der tatsächlichen Neuregelung anwendbar.
- Die Regelungen des ErbStG waren im Hinblick auf den Erwerb von Privatvermögen sowie den zugrunde zu legenden Steuersatz über den 30.6.2016 hinaus anwendbar, ohne durch eine spätere rückwirkende Regelung ersetzt zu werden.
- Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt sich jedenfalls daraus, dass das BVerfG angeordnet hat, das bisherige Recht bleibe bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Diese Regelung stellt eine unbefristete Fortgeltungsanordnung dar. Die Frist bezieht sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen und ändert an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen wird.
- Eine Aussetzung des Verfahrens i. V. mit einer Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG kommt nicht in Betracht. Insbesondere ist die im Streitfall vorgenommene Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens nicht deshalb verfassungswidrig, weil in demselben Zeitraum eine erbschaftsteuerrechtliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre.
Quelle: BFH, Urteil vom 6.5.2021 - II R 1/19; NWB Datenbank (RD)
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